Will mein Kind nicht partizipieren?


Am Wochenende war ich in Hamburg als Mitwirkende und Teilnehmerin auf der DGSA Tagung zum Thema Demokratie & Soziale Arbeit. Ich besuchte einen Workshop zu Partizipation in sozialen Kontexten. Und die beginnen ja bekanntlich schon in den eigenen vier Wänden.

 

Dabei kam die Frage auf, inwiefern Widerstand partizipativ wäre. Ja, um es vorweg zu greifen! Es wird oft so wahrgenommen, als würde Widerstand, also Verweigerung, Ablehnung, ein klares Nein nicht beteiligend sein. Gerade wenn es um die Erziehung der eigenen Kinder geht. Das Kind ist bockig. Es will einfach nicht mitmachen, ja es möchte mich geradezu ärgern und genau das Gegenteil davon tun, was ich eigentlich von es möchte. Aber auch das hat partizipatives Potential! Das führt mir meine Tochter regelmäßig vor. Zum Beispiel.

Marie ist gerade aufgestanden. Sie braucht wie so viele Kinder so ca. 20 Minuten, bis sie wirklich wach ist. Ich bin dabei Frühstück zu machen. Sie steht im Flur, schaut mit ihren noch verschlafenen, blauen Augen in die Küche hinein, in ihrem Schlafsack, der ihr durch eingenähte Beinchen freie Bewegung erlaubt, breitet ihre Arme aus und nutzt ihr vorhandenes Sprachvokabular: „Arm“ und unterstreicht es mit weit ausgebreiteten Armen. Herzallerliebst! Ich gehe in die Hocke und breite auch die Arme aus. Das gefällt ihr aber nicht und sie dreht demonstrativ ihren blonden Lockenkopf weg und schaut mich bewusst nicht an. Sie möchte anscheinend, dass ich zu ihr komme und sie hochhebe. Ja, dass sie eben auf meinem „Arm“ ist. Wie es doch so oft schon abgelaufen ist. Marie sagt „Arm“ und ich hebe sie hoch. Da ist sie ganz nah und sieht, was ich sehe. Aber mit ihren 12 Kilo geht das nun mal nicht immer. Was ist daran denn bitte partizipativ?

 

Marie ist gerade anderthalb Jahre alt. Sie lernt immer mehr Wörter und lernt bekanntlich über deren Gebrauch am besten. So ist zeitweise alles ein „Auto“, weil sie das Wort wirklich sehr gut aussprechen kann und womöglich durch unsere Reaktionen darauf das auch irgendwie weiß. „Arm“ ist auch so ein Wort, dass sie wirklich so ausspricht, wie wir es sagen oder geschrieben wird. Anders als beispielsweise „beden“ oder „bata bata“, was ihre heiß geliebten Heidelbeeren meint, deren H und R sie jedoch noch nicht aussprechen kann (oder will? Wenn wir schon beim Widerstand sind). Sie ist also im Gebrauch des Wortes „Arm“ sehr sicher und es meint, dass sie bei mir auf dem Arm und nicht am Arm – was bei meiner sitzenden Höhe eher der Fall ist – sein möchte. Und da liegt wohl das Problem. Ich mache nicht das, was Marie in diesem Moment möchte. Aus ihrer Perspektive möchte ich also nicht so partizipieren, wie sie es sich vorstellt. Es ist aber nicht so, dass ich gar nicht partizipiere. Aus meiner Perspektive möchte ich die semantische Dimension von „Arm“ auf die sitzende Höhe erweitern, um meinen Rücken zu schonen. Doch Marie möchte nicht. So dreht sie sich weg und zeigt mir deutlich (ich weiß wirklich nicht, von wem sie diese Art hat, bestimmt von anderen Kindern!), dass sie das nicht mitmacht. Wo liegt da nun die Partizipation? Nach meiner Analyse muss ich sie doch gar nicht suchen, sie ist da! Wir kommunizieren miteinander. Wir unterhalten uns auf Grundlage ihrer und meiner kommunikativen Fähigkeiten. Ob sie partizipativ sei oder nicht, liegt in meiner Definition des Wegdrehens! Und wer definiert hier eigentlich? Da Marie von der Bedeutung oder gar des Aussprechens von Definition weit entfernt ist, definiere ja wohl ich. Denn selbst Menschen, die sich komplett von der Gesellschaft abwenden, in den Wald ziehen und ihr Leben leben, partizipieren. Schließlich wird es Förster geben, die den Wald im Blick haben, ein naheliegendes Dorf, aus der sich dieser Mensch vielleicht mal eine Seife kauft oder Wanderer, die seinen Weg kreuzen. Es liegt also im ersten Schritt in der Definition Partizipation zu ermöglichen. So wie Marie eben nicht nicht partizipiert, so funktioniert es auch nicht in der Gesellschaft, dass Menschen oder Menschengruppen nicht partizipieren. Sie werden eher daran gehindert, nicht partizipieren zu dürfen, aber das steht auf einem anderen Blatt.