Warum ist die Puppe schwarz?

Erlebnisse mit Maries Puppe

Wenn ich darüber nachdenke, was der Auslöser war, Marie eine schwarze Puppe zu schenken, dann liegt dieser ca. anderthalb Jahre zurück. Da erfuhr ich das erste Mal vom sogenannten Doll Test (ihr findet etwaige Videos im Internet dazu). Kleinen Kindern werden eine schwarze und eine weiße Puppe gezeigt und zu verschiedenen Eigenschaften befragt. Welche ist für dich die gute Puppe, welche ist die hübschere, welche ist die "böse" Puppe und so weiter. Im ersten Moment berührte mich das Experiment zutiefst, weil es mit aller Wucht aufzeigte, wie früh, ja fast wie intuitiv Rassismus, wahrhaftig in die Wiege gelegt wird. In den darauffolgenden Momenten, Reflexionen und wissenschaftlichen Kontexten fand ich die Art der Durchführung moralisch immer verwerflicher. Das ist aber ein anderes Thema. Fakt ist, dass Kuscheltiere, Puppen und Spielzeuge Kinder mit Sicherheit prägen. Warum also sollte Marie keine schwarze Puppe haben?

 

Ich kaufte ihr also eine und es war verblüffend, welche Fragen sich während des Kaufs in meinem Kopf bildeten. Seit ich denken kann, beschäftige ich mich mit rassistischen, antisemitischen und feindlichen Phänomenen in der Gesellschaft und Geschichte und trotzdem zeigte mir dieser Kauf, wie "weiß" mein Kopf geblieben ist. 

Fragen wie: Darf ich überhaupt meiner blauäugigen, weißen Tochter eine schwarze Puppe schenken? Würden sich POC vielleicht irgendwie beleidigt fühlen, weil ich meiner Tochter keine Puppe in ihrer Hautfarbe schenke, sondern "die andere" Hautfarbe wähle? Unsinn, rief ich mir schnell in den Kopf. Es geht hier nicht um Andere. Es geht um Marie. 

Zu Hause ging es meinem Mann nicht anders. Er nahm die Puppe, wendete sie, schaute mich an: "Warum ist sie schwarz?" Er sprach aus, was ich schon die ganze Zeit dachte, als ich meine Tochter dabei beobachtete, wie sie mit ihrer neuen Puppe spielte. Ja, es war ungewohnt. Ein ungewöhnliches Bild. Es verwunderte mich und stimmte mich nachdenklich. Dieses Bild irritierte, wie Titelcover, die von POC ausgefüllt werden, es ist so ungewohnt, wie selten, POCs in sogenannten einflussreichen oder machtvollen Positionen zu sehen. Marie ist es völlig egal, welche Farbe sie hat. Sie wiegt sie, küsst sie und spielt so unbekümmert wie mit allen anderen Puppen. Sie nennt es liebevoll "Baby" und sie darf nicht mehr fehlen, wenn wir unterwegs sind. Reaktionen von Mitmenschen ließen nicht lange auf sich warten.

Die erste Aufmerksamkeit hatten wir in Ägypten. Eine POC-Animateurin, die begeistert ausrief: "Oh, this is so cute, she has my colour!" Das sagte sie Marie zugewandt, die sich mit ihr freute. 

Die zweite Reaktion erlebten wir leider schon öfter, die folgende Begegnung ist exemplarisch dafür. 

 

Ich gehe mit Marie einkaufen, sie sitzt in diesem Auto-Einkaufswagen, ihre Puppe fest umschlungen, während ich nach Haferflocken in einem der Einkaufsregale suche. Eine alte Frau mit einem Rollator schaut Marie freudig an, wie so oft sich ältere Menschen an Kindern erfreuen. Und dann sah sie Maries Puppe. "Eine N****puppe! Nein, wie süß! Kann ich, kann ich die mal haben?" Sie entriss Marie förmlich die Puppe um sie in ihren Händen zu halten, eigentlich zu bewundern und man sah ihr deutlich an, dass zudem, was sie sagte viele Erinnerungen hoch kamen. "Ich hatte auch so eine N****puppe. Vor dem Krieg. Das es heute noch N****puppen gibt!" Ich entschied mich, nichts zu ihrer Wortwahl zu sagen und eher abzuwarten, was sie noch von sich gibt. Sie war sicherlich über 80, sehr gebrechlich und sonderlich viel Reflexion konnte ich bei ihr nicht wirklich ablesen. Ich verfiel in eine Haltung, die mir mittlerweile in solchen Situationen sehr hilft. Ich bin nur ein Zuschauer, wie ein Journalist, der später davon erzählen kann, ähnlich wie bei diskriminierenden Vorfällen, die in meinem Leben eher zu- als abgenommen haben. Die Haltung verschafft mir Abstand und es dauerte nicht lang, bis sie sagte: "N****, man soll es ja nicht sagen. Aber was ist an dem Wort so schlimm? N****. Und da war dieser Moment, den ich sonst aus anderen Kontexten kannte: Würde sie das auch sagen, wenn ich schwarz wäre?