"Fühlt man sich als Frau von den Männern unterdrückt?"

Meine Erfahrungen aus bilingualen Workshops mit dem Schwerpunkt kultursensibler Gesprächsführung.

 

Der altbekannte Stuhlkreis ohne Tische, eine weiße Wand, Beamer und der Moderationskoffer mit all seinen Utensilien, um Abwechslung und Lebendigkeit in das anstehende Seminar zu bringen: wir sind in Kiel, in einem schönen, lichtdurchfluteten Seminarraum, der nur darauf wartet, mit seinen Teilnehmern gefüllt zu werden.

Meine liebe Kollegin und Freundin Mahassen Abboud, die die arabische Sprache beherrscht, bereitet mit mir alles vor. Die wohl wichtigsten Utensilien sind die Moderationskarten. Sie werden schon in die Mitte des Stuhlkreises gelegt, ihr Einsatz wird sehnsüchtig erwartet.

Ca. 15 Menschen besetzen die Stühle. Ihr teilnehmender Hintergrund ist klar getrennt: Geflüchtete und deutsche Studenten. Die Idee: kultursensible Begegnung ermöglichen und dabei gleich kultursensible Themen zum Gegenstand des Workshops machen. Die Gründung des Vereins kulturgrenzenlos e.V. habe ich selbst am Rande meines Masterstudiums in Kiel mitbekommen, die Projektleiterin ist eine liebe ehemalige Kommilitonin von mir. Der Schwerpunkt des Vereins liegt in der Realisierung von Tandempartnerschaften - das Erlernen einer Fremdsprache als Möglichkeit nutzen, Begegnung von Menschen verschiedener Kulturen zu schaffen. Im Laufe der Zeit häuften und wiederholten sich bestimmte Themenbereiche, die mit Hilfe solcher Workshops tiefer gehend bearbeitet werden. 

 

"Wirken Deutsche wirklich so kühl, wie es ihnen nachgesagt wird?"

 

Der Gewinn der Teilnahme liegt auf beiden Seiten. Selbst- und Fremdwahrnehmung werden moderativ begleitet in der Begegnung des Anderen. Dabei ist ein Tool so simpel wie effektiv: bevor wir auch nur eines von zahlreichen pädagogischen Kennenlernmöglichkeiten umsetzen, sollen alle Teilnehmenden Fragen aufschreiben, mit denen sie sich schon immer mal wieder beschäftigt haben. Dabei mache ich deutlich:

 

NICHTS ist tabu. Sie dürfen alles fragen, auch wenn es noch so brisant erscheint, die Anonymität wird gewahrt. Es gibt keinen Ausschluss. Hier ist ein geschützter Raum, um Fragen zu klären, wofür mensch im Alltag keine Zeit hat

 

Meist dauert diese Runde ca. eine halbe Stunde. Und jedes Mal bin ich begeistert, schockiert und überrascht, welche Fragen die Teilnehmer beschäftigen. Im Anschluss kommt dann die ersehnte Kennenlernrunde, ein bisschen theoretischer Input und den Rest der Zeit wird sich den Fragen gewidmet. 

Dabei wird alles auf den Tisch gepackt. Die Unterdrückung der Frau, die Bedeutung von Familie, radikales Gedankengut. Die Karten bestimmen den Informationsbedarf. 

 

 


Der Culture Clash schwebt immer mit im Raum

 

Es sind brisante Fragen, es sind medial aufgeladene Themen, die mich innerlich oft unruhig werden lassen. Die Unterdrückung der Frau, Terrorismus, Muslime, die alles Nichtmuslimische verteufeln. Doch je öfter wir sie hören, desto gelassener werden wir. Schließlich ist der Bedarf da, das Interesse ist vorhanden, mehr zu erfahren, aufzuklären, mehr Klarheit hinein zu bringen in Themen, die sonst einseitig über Medien kommuniziert werden. Hier haben wir den Dialog, hier können wir antworten und die Diversität bestimmter Problembereiche aufzeigen. Dabei können so einige Themen die Atmosphäre des Workshops erhitzen. So z.B. als ein syrischer Teilnehmer von seinen Wahrnehmungen berichtete, was die Stellung des Mannes in der deutschen Gesellschaft beträfe. Er war etwas aufbrausend, als er in seinem guten, aber akzentgeladenen Deutsch beschrieb, dass der Hund in Deutschland wichtiger sei, als der Mann. Ein deutscher Teilnehmer direkt neben mir - Soziologie & Politikwissenschaftsstudent - schüttelte schon energisch den Kopf und rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Der syrische Teilnehmer erzählte, dass ein Mann in Deutschland weniger Rechte als die Frau habe. Gerade in familiären Konflikten, wenn es um Kinder gehe, stehe der Mann schlechter dar. Mahassen schaute mich an, etwas hilflos, wie wir den womöglich bevorstehenden Konflikt der Gruppe abfangen können. Dabei kommt uns die bilinguale Struktur des Workshops mehr als zugute! Denn jedes Mal, wenn ich oder Teilnehmer etwas auf Deutsch äußern, sind wir alle bedacht, nicht so viel auf einmal zu erzählen, da das Gesagte ja auch immer auf arabisch wiedergegeben wird. Im Laufe des Workshops merke ich, dass ich selbst als Referentin mehr darauf achte, was ich sage um die Inhalte des Gesagten in den Vordergrund zu stellen. Die Wirkung ist nicht zu unterschätzen! Nicht nur die Teilnehmer haben somit mehr Zeit das Gesagte zu verarbeiten, auch ich spüre selbst in meinem übrig gebliebenen Redefluss die Klarheit der dahinterliegenden Botschaft. 

Ich wende mich dem Syrer zu, wohlbedacht, dass auch der deutsche Student auf der linken Seite womöglich abgeholt werden sollte. So beschrieb ich dem Syrer Schritt für Schritt, warum die Frau mehr Rechte braucht, warum sie nicht nur in Deutschland, sondern überall, durch ihre physische Unterlegenheit gegenüber dem Mann tendenziell mehr gestärkt werden muss. Ich beschrieb die einzelnen institutionellen Schritte, die eine Frau gehen kann, wenn sie z.B. durch Gewalt von ihrem Partner bedroht wird. Selbst in offensichtlichen Fällen von gewalltvollem Missbrauch ist die Frau in Deutschland durch die einzelnen Verfahrensschritte (Anzeige erstatten - warten, bis die Staatsanwaltschaft Anklage erhebt - Aussagen werden eingeholt - Gerichtsverhandlung muss ausgemacht werden) verlangsamt geschützt. Zum Schluss ergänze ich jedoch noch, dass ich ihm zustimme, was die Rechte des Mannes angehen, wenn er mit einer Frau Kinder hat und sie nicht verheiratet sind. Da müsste nachgebessert werden. 

Deutlich wird dabei - für beide Seiten - das vermeintliche Vorurteile aus der Nichtkenntnis vorhandener Strukturen entstehen. Fragen wie "Warum steht die Familie in arabischen Kulturen über dem Individuum?" oder: "Warum werde ich andauernd gefragt, ob ich verheiratet bin?" bekommen in ihrer Beantwortung eine ganz andere Dimension, wenn es aus einem sozialstaatlichen, sozialökonomischen Blickwinkel beleuchtet wird. Dabei kommen mir meine Erfahrungen aus Ägypten zu Gute. Aber vor allem die Beschreibungen der arabischen Teilnehmer. 

 

Es ist nicht zu verleugnen, dass es anstrengend ist, dass Vorurteile und Voreingenommenheit (auf beiden Seiten) mitschwingen. Der lange Weg zur Versöhnung, zum gegenseitigen Verständnis liegt in der Begegnung und im besten Fall in guter, moderativer Begleitung. So hoffe ich, dass in Zukunft, solche bilingualen Formate, deren Fokus vor allem auf den Fragen der Teilnehmenden liegen, mehr werden, um den Dialog voranzutreiben.

 

Alle Fragen, die hier aufgeführt wurden, wurden von Teilnehmenden aus den Workshops gestellt.