„Die sehen aber zumindest nicht so scheiße wie ein Kopftuch aus!“

In den vergangenen Wochen habe ich meine Artikel zu Themen der Diskriminierung und Rassismus vor allem in sozialarbeiterischen & pädagogischen Gruppen auf Facebook geteilt. Die Überschrift ist ein Kommentar anlässlich einer Kopftuchdiskussion, die einer meiner Artikel ausgelöst hat.

Insgesamt habe ich damit wohl – zumindest was die Head Lines und einführende Texte betrifft – eine Menge (ca. 30 000) Leser erreichen können. Die Diskussionen unter den Artikeln machen mich sprachlos. Ich weiß nicht, vielleicht bin auch zu naiv und habe zu große Erwartungen, aber die schiere Weite der Unsensibilität dieses Themas haut mich von den Socken. Sie haut mich vor allem aus meinen pädagogischen Socken. Das Fatale, aber notwendig zu Beachtende hier: es wird kaum ausfällig; in der Fachsprache jedoch versteckt sich mindestens genauso viel Rassismus, Diskriminierung und Vorurteile, wie es die einfachen Aussprüche tun. Sie sind nur versteckter, geschmeidiger und eben: struktureller Natur.

 

 

Beliebte Argumentationslinien

 

In Diskussionen zu Artikeln Diskriminierung am Arbeitsplatz tauchen gerne zwei prominente Argumentationslinien in der Diskussion auf, die ich einmal näher beleuchten möchte:

 

1.    Keine Symbole, um Neutralität zu sichern.

 

Wohl gemerkt in einer Gruppe mit sehr viel SOZIALpädagogen, die in ihrem Studium schon mal etwas von Systemtheorie und/oder Konstruktivismus gehört haben müssten. Doch auch hier, wird ähnlich wie in der LehrerInnendebatte (für mich ebenso absurd in der Kontra-Argumentationslinie) auf die zwingende Neutralität – gerade im Jugendamt! – hingewiesen. Erste Frage: Wer oder was definiert Neutralität? Die Abwesenheit jedweder Religion ist also Neutralität? Atheistisch-kommunistische Staaten zeigen ein anderes Bild, sie sind und können nicht neutral sein. Die Vertretung verschiedenster Meinungen kann ansatzweise sogenannte Neutralität erzeugen, sonst käme es einer Gleichschaltung von bestimmtem Gedankengut gleich. Und spätestens seit der Auseinandersetzung mit dem Konstruktivismus – wovon die Soziale Arbeit nur so trieft! – sind neutrale, objektive Ansätze nicht haltbar, weil nicht möglich.

Die Reduktion erfolgt auf die Symbolik. Und auch hier: wer oder was definiert dieses Symbol? Tatsächlich die Tragenden selbst oder nicht eher die unzähligen Debatten, die ÜBER sie geführt wurden und nicht mit ihnen? Ein schöner Selbsttest hierfür: Wie viele Muslime kennst du? Und wie vielen von denen hast du gefragt, warum sie ein Kopftuch tragen und warum sie es NICHT tragen? Denn die Kausalitätsfrage für Trägerinnen impliziert im Umkehrschluss, im Grunde jeden Muslim zu fragen, warum er es trägt oder auch nicht. Warum? Weil doch die Argumentationslinie lautet, dass kopftuchtragende Frauen womöglich aufgrund ihres symbolischen Aushängens ihrer Religion das Grundgesetz nicht in vollem Umfang anerkennen. Oder ein anderes System darüber ordnen. Wenn wir dieser Unterstellung folgen, ist die Konsequenz, ALLE muslimischen Bewerber darüber zu befragen. Denn Symbole bleiben das was sie sind: Symbole. Die Geschichte zeigt ausreichend viele Beispiele dafür, dass Menschen extremistisch, fundamentalistisch und gefährliches Gedankengut in sich tragen und man sieht es ihnen eben nicht an. Nein, eigentlich alle Bewerber. Es könnten Menschen ja auch konvertiert sein, so heimlich. Jetzt wird es wirr, nicht wahr? Denn genau aus diesem Grund wurde das Antidiskriminierungsgesetz entwickelt. Fragen im Vorstellungsgespräch müssen immer auf alle Bewerber anwendbar sein. Das bedeutet nicht, dass die eigentlichen, fachorientierten Fragen, die dahinter liegen, nicht gefragt werden können. Das können sie, aber eben nichtdiskriminierend. Oder aus einer Vormachtstellung heraus, den Anspruch auf Neutralität zu erheben.

 

2.    „Das ist UNSERE Kultur“

 

Eine zweite beliebte Debatte, die sich im Rahmen von Diskussionen zu diesen Artikel entzündet hat, ist die „Hände-Schüttel-Debatte“. So gerne wird hier angeführt, dass es in Deutschland eben üblich ist, sich die Hände zu reichen. Schließlich würde man sich in muslimisch geprägten Ländern auch die Schuhe in der Moschee ausziehen und ein Kopftuch überwerfen. Grundsätzlich stört mich daran, dass in solchen Fällen sehr gerne mit Ländern verglichen wird, die an anderer Stelle rückwendig, unterentwickelt und totalitär abgetan werden (was sie in vielen Hinsichten leider auch sind). Aber wenn es um solche Themen geht, reichen sie aus, sind sie angebracht verglichen zu werden. Frei nach dem Motto: „IHR“ macht es doch nicht anders! In dieser Hinsicht könnte es fast ein Eingeständnis sein, dass westliche Gesellschaften da doch noch rückständig und rückwärtsgewandt sind – eben so, wie diese „anderen“ Länder. Doch die folgenreiche Argumentationskette wird auch da fast schizophren, wenn das Hände Schütteln als „fortschrittlich“, als „emanzipiert“, als ein Zeichen von „Gleichwertigkeit“ deklariert wird. Im Ernst? Dann müssten unsere Vorstände ja vor Frauen wimmeln, weil sie sich dazu entschlossen haben, jemanden die Hand zu schütteln. Es ist absurd. Es gibt in Deutschland nicht „DIE“ Begrüßungskultur, wie es ebenso wenig „DIE“ Deutschen gibt. Ärzte schütteln nicht die Hand, viele deutsche Vertreter der Wirtschaftsunternehmen schütteln Japanern, Saudis und Chinesen nicht die Hand, sowie es im allgemeinen Volk auch nicht überall üblich ist. Es gab schon unzählige Klienten in meiner Arbeit die sich weder untereinander noch Fachkräften die Hand schüttelten. Manche schauen einen nicht mal an, bei der Begrüßung. Und werden da Rückschlüsse gezogen, WARUM er es nicht tut? Wird es auch da zum Politikum? 

 

Was bringt es, zu diskutieren?

 

Das fragte mich letztens eine liebe Freundin. Sie ist es leid, immer wieder die gleichen Fragen zu beantworten, immer wieder zu kompensieren, weil Menschen manchmal zu einfach, zu sehr in der Vergangenheit verhaftet, andere Menschen wahrnehmen.

Ich glaube, es ist mehr als nötig zu diskutieren, zu reden, von sich zu erzählen. Jeder Ursprung von Angst, dass in Fremdenangst, bis hin zu Fremdenhass führt, liegt im Nicht-kennen des Fremden. Bleiben wir verschlossen, bleiben wir ohne Diskurs, kennen wir uns nicht mehr, lernen wir uns nicht kennen und kann mehr Angst, mehr Sorgen und mehr negative Energien und Gedanken fördern. Es ist furchtbar mühsam und oft genug wurde ich dem schon selbst überdrüssig. Doch gebe ich dem ganzen eine höhere, weitreichendere Komponente, schafft es schon Frieden in meinem Herzen, dass ich in eben solchen Diskussionen weitergeben kann.